Als der kleine Moritz Maulwurf an diesem Morgen aus der Erde herausschaut, wundert er sich im ersten Moment. Direkt vor ihm steht ein großer Schäferhund, der freundlich zu ihm herabblickt. Nach einem kurzen Moment unterbricht der Schäferhund als erstes die Stille: „Guten Tag kleiner Mann, du siehst ein wenig erstaunt aus. Kann ich dir irgendwie weiterhelfen?“ Die Stimme des Schäferhundes klingt dabei ebenso freundlich, wie er auf den Maulwurf herabschaut. „Ja, entschuldige.“ antwortet der Maulwurf, „Ich bin Moritz Maulwurf und neu in der Stadt. Du kommst mir aber irgendwie schon bekannt vor. Was machst du hier an diesem schönen See?“ Der Hund lacht auf: „Hallo Moritz, herzlich Willkommen in Bochum und schön dich kennenzulernen. Ich heiße Fritz und bin der Schafhirte hier am Kemnader See. Falls du schon in der Stadt unterwegs warst, kann es gut sein, dass ich dir bekannt vorkomme. Wenn du magst, kann ich dir eine schöne Geschichte über einen Kuhhirten erzählen.“ Moritz liebt Geschichten, also klatscht er freudig in die Hände und nickt dem Hund zu. Fritz beginnt noch breiter zu lächeln als zuvor und deutet mit seiner Pfote auf einen kleinen Steg, der sich am Ufer befindet. „Dann komm kleiner Mann, lass uns ans Ufer setzen und ich erzähle dir von Fritz Kortebusch, dem letzten Kuhhirten von Bochum.“ Die beiden klettern die Böschung herunter und setzen sich auf den kleinen Steg ans Wasser. Während sie ihre Blicke über die glitzernde Wasseroberfläche schweifen lassen, beginnt Fritz zu erzählen.
„Wir beide machen jetzt eine kleine Gedankenreise und springen etwa 160 Jahre in der Zeit zurück. Du würdest Bochum nicht wiedererkennen. Es fuhren keine Autos, es gab viel weniger Häuser und das Leben war noch ruhig und beschaulich. Um die Stadt herum gab es große Wiesen, tiefe Wälder und grüne Weiden. Jeden Morgen erklang pünktlich um 5 Uhr ein lautes Horn, ungefähr an der Stelle, wo sich heute Bongard- und Kortumstraße kreuzen. Dort stand ein großer stattlicher Mann und wartete. Er trug ein kleines Schild auf der Brust, welches er stolz im ersten Licht des Tages aufblitzen ließ. Neben ihm stand brav ein kleiner Hütehund, der neugierig die umliegenden Häuser beobachtete. Schon bald waren die ersten Geräusche zu hören und man konnte die Stimmen zahlreicher Rinder und Ziegen vernehmen. Eilig öffneten die Bewohner die Tore zu ihren Ställen und trieben ihre Tiere zu dem Kuhhirten auf die Straße.
Du musst wissen kleiner Maulwurf, dass es in Bochum früher noch keine großen Firmen oder Fabriken gab, für die die Menschen arbeiteten. Bochum war ein Ackerbürgerstädtchen. Das heißt die Menschen lebten hier von der Landwirtschaft und ihren Tieren. Egal ob arm oder reich, alle Leute besaßen Rinder oder Ziegen. Damit die Menschen Zeit für ihre täglichen Arbeiten hatten, gab es einen Kuhhirten, der auf alle Tiere der Stadt aufpasste. Der Mann, den wir gerade in unserer Vorstellung beobachtet haben, hieß Fritz Kortebusch und war der letzte Kuhhirte in einer langen Tradition. Er begann vor ungefähr 160 Jahren mit seiner Arbeit. Damit ihn jeder in der Stadt erkennen konnte, hat ihm der Bürgermeister an seinem ersten Arbeitstag ein blechernes Horn und das glänzende Brustschild geschenkt.
Jetzt fragst du dich sicher, was er den ganzen Tag mit den Tieren gemacht hat? Damals gab es im Norden der Stadt eine große Weide, die allen Bewohnern und Bewohnerinnen der Stadt gehörte. Auf dieser großen Wiese, die die Menschen auch Vöde nannten, durften die Tiere den ganzen Tag bis zum frühen Abend grasen. Und den Teich im Stadtpark, auf dem man heute Tretboot fahren kann, gab es auch schon. Bevor der Kuhhirte die Kühe und Ziegen am Abend wieder nach Hause brachte, machten sie dort noch einen langen Stopp, damit die Tiere in Ruhe trinken konnten.
Vielleicht wunderst du dich jetzt, warum es keine Weide mehr gibt, oder warum dir noch kein Kuhhirte in Bochum über den Weg gelaufen ist? Nun die Stadt hatte sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt und viele Leute haben angefangen, im Bergbau oder in der Stahlindustrie zu arbeiten. Mit der Zeit gab es immer weniger Tiere in der Stadt. Die Leute verdienten ihr Geld auf andere Weise und kauften ihre Lebensmittel auf dem Markt. So kam es, dass der Kuhhirte die Tiere schon 12 Jahre nachdem er mit seiner Arbeit begonnen hatte, das letzte Mal auf die Weide trieb. Später wurde dann auf einem Teil der großen Weide der Bochumer Stadtpark angelegt und auf einem anderen Teil entstanden der Friedhof an der Blumenstraße und das Gefängnis Krümmede.
Weil die Menschen sich noch sehr gerne an die ruhige Zeit von damals zurückerinnern, haben sie vor etwas mehr als 100 Jahren beschlossen, eine Statue aufzustellen, damit sich auch die Kinder von heute noch an den Kuhhirten erinnern können. Die Statue hat genauso wie ich ein Horn, eine Hirtenmütze und einen Umhang. Deswegen bin ich dir bestimmt bekannt vorgekommen, als wir uns vorhin getroffen haben. Seit ungefähr 60 Jahren steht diese Statue auf der Bongardstraße, an dem Ort, an dem sich früher der Marktplatz und das alte Rathaus befanden. Wenn du also nochmal an der Statue vorbeikommst, kannst du ja kurz stehenbleiben und an die Zeit denken, als noch Kühe und Ziegen über die Straße gelaufen sind.“ Der Schäferhund schaut den kleinen Maulwurf an und lächelt stolz. „Ich danke dir für diese großartige Geschichte! Ich bin froh, dass ich dich hier getroffen habe!!!“, sagt Moritz lächelnd. Beide schauen noch eine Weile auf das glitzernde Wasser, während sie von vergangenen Zeiten träumen.